Bundesarbeitsgericht hält fristlose Kündigung wegen sexuell anrüchiger Bemerkungen am Arbeitsplatz für wirksam

von Dr. Ilja Selenkewitsch

Wo liegen die Grenzen sexuell anzüglichen Verhaltens von – meist männlichen – unbelehrbaren Arbeitskollegen ihren Kolleginnen gegenüber? Mit dieser Frage musste sich das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 9.6.2011 – 2 AZR 323/10) auseinandersetzen und zeigte sich einem grabschendem und mit schmierigen Bemerkungen aufwartenden Mitarbeiter gegenüber absolut humorlos.

Ein 58-jähriger Einkäufer und Produktmanager, der 1976 von einem Möbeleinzelhandelsgeschäft eingestellt wurde, erhielt zunächst eine Abmahnung durch den Arbeitgeber, weil er eine Kollegin mit einem Schlag auf den Po sexuell belästigte. Gegenüber einer anderen Mitarbeiterin machte er ca. acht Monate später mehrere Bemerkungen mit sexuellen Inhalten. So erwartete er von ihr in anzüglicher Weise, dass sie ihm ihre körperlichen Reize zur Schau stelle; er wollte wissen, weshalb sie keinen Minirock anhabe und damit auf eine Leiter steige. Im Zusammenhang mit einem Zollstock stellte er einen anzüglichen Vergleich an, ferner sprach er sie beim Mittagessen auf ihr Sexualleben an und fragte sie, ob sie schon einmal beim Essen Sex gehabt hätte und schließlich machte er ihr explizit ein anzügliches Angebot. Diese sich bedrängt fühlende Mitarbeiterin meldete angewidert die Vorfälle dem Arbeitgeber, der den Mitarbeiter darauf zu den Vorwürfen anhörte. Weil der Mitarbeiter die Vorwürfe nicht entkräften konnte, hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zur beabsichtigten fristlosen und hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat stimmte den Kündigungen zu und der Arbeitgeber entließ ihn daraufhin. Der Mitarbeiter hatte sich allerdings noch bei der betroffenen Mitarbeiterin entschuldigt. Die Entschuldigung erfolgte jedoch erst nach dem Anhörungsgespräch und somit unter dem Eindruck einer bereits drohenden Kündigung.

Während des Prozesses versuchte der Mitarbeiter sein Verhalten damit zu entschuldigen, dass er die Mitarbeiterin allein habe „necken“ wollen. Überdies hätte der Arbeitgeber ihn erneut abmahnen und nicht sofort kündigen müssen. Das Arbeitsgericht Paderborn wies die Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters ab, d.h. sah die fristlose Kündigung für wirksam an. Das Landesarbeitsgericht Hamm gab der Berufung des Klägers statt, so dass die Kündigungen des Arbeitgebers unwirksam gewesen wären und der Arbeitgeber diesen Mitarbeiter weiter hätte beschäftigen müssen. Das Bundesarbeitsgericht hob schließlich dieses Berufungsurteil aber auf und erachtete die fristlose Kündigung des Arbeitgebers für wirksam.

Das Bundesarbeitsgericht kam zu dem Schluss, dass ein „wichtiger Grund“ i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegen würde, da der Mitarbeiter seine Kollegin sexuell belästigt habe. Was eine „sexuelle Belästigung“ ist, bestimmt der Gesetzgeber in § 3 Abs. 4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): „Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung (…), wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“ Ein solches Verhalten verletze auch die arbeitsvertraglichen Pflichten, die ein Arbeitnehmer zu beachten habe. Ob eine sexuelle Belästigung im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung rechtfertige, sei von den Umständen des Einzelfalls, u.a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität, abhängig. Gleichgültig sei, ob diese sexuell bestimmten Verhaltensweisen einmalig oder mehrmalig vorgenommen worden seien, da bereits eine einmalige Handlung eine sexuelle Belästigung darstellen könne. Hier habe die Kollegin dem Täter gegenüber zudem auch mehrfach klargemacht, dass sie sein Verhalten missbillige und er dies einstellen solle. Gleichgültig sei ebenfalls, ob der Täter die Absicht zu einer sexuellen Belästigung gehabt habe, weil bereits das Ergebnis, also das „Bewirken“ einer sexuellen Belästigung die Würde des Opfers verletze; ein entsprechender Vorsatz des für die sexuelle Belästigung objektiv verantwortlichen Täters sei nicht erforderlich. Damit half dem Mitarbeiter seine (vermeintliche Schutz-) Behauptung nicht, er habe die Kollegin angeblich nur „necken“, keinesfalls aber sexuell belästigen wollen. Im Vergleich zu § 2 Abs. 2 des mit Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 außer Kraft getretenen Beschäftigtenschutzgesetzes (BSchG) sei der Begriff der sexuellen Belästigung in § 3 Abs. 4 AGG in Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976 i.d.F. der Richtlinie 2002/73/EG vom 23. September 2002 weiter gefasst. Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordere – anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG – nicht mehr, dass das Opfer seine ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht habe, obwohl die Mitarbeiterin genau dies dem Täter gegenüber mehrfach anzeigte. Maßgeblich sei allein, ob dem Täter objektiv erkennbar gewesen sei, dass sein Verhalten unerwünscht war. Das Bundesarbeitsgericht sah durch diese Bemerkungen sexuellen Inhalts die Würde der Mitarbeiterin nach § 3 Abs. 4 AGG verletzt, weil er sie zum Sexualobjekt erniedrigt habe. Anders als noch vom Landesarbeitsgericht Hamm angenommen, handele es sich – so das Bundesarbeitsgericht – bei verbalen Belästigungen keinesfalls um „weniger gravierende“ Belästigungen als bei körperlichen Entgleisungen. Auch die Intensität verbaler Belästigungen könne erheblich sein, wenn sei – wie vorliegend – in immer neuen Varianten und bei unterschiedlichsten Gelegenheiten fortgesetzt und hartnäckig erfolgten. Der auf eigene körperliche Merkmale anspielende anzügliche Vergleich habe, ebenso wie das an die Mitarbeiterin gerichtete anzügliche Angebot, bedrängenden Charakter besessen.

Der Arbeitgeber habe auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, konkretisiert durch § 12 Abs. 3 AGG, beachtet. So müsse er bei Verstößen gegen das sexuelle Belästigungsverbot vor Ausspruch einer Kündigung andere geeignete, erforderliche und angemessene arbeitsrechtliche Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung oder Versetzung ergreifen. Welche Maßnahmen der Arbeitgeber noch als verhältnismäßig ansehen dürfe, hinge von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die Regelung in § 12 Abs. 3 AGG schränke das Auswahlermessen jedoch ein, weil der Arbeitgeber sexuelle Belästigungen zu „unterbinden“ habe. Der Arbeitgeber sei also verpflichtet, gegen ein derartiges Verhalten seiner Mitarbeiter vorzugehen. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sein daher nur Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen dürfe, dass sie sexuelle Belästigungen für die Zukunft abstellten, d.h. Wiederholungen ausschlössen. Während das Landesarbeitsgericht Hamm noch keine negative Zukunftsprognose für das Verhalten des Täters erkennen konnte, sah das Bundesarbeitsgericht dies anders. Die Prognose müsse – so das Bundesarbeitsgericht – negativ ausfallen, wenn aus den Pflichtverletzungen und Vertragsstörungen geschlossen werden müsse, der Täter werde den Arbeitsvertrag in Zukunft erneut oder in ähnlicher Weise verletzen. Sei der Arbeitnehmer wegen einer gleichartigen Pflichtverletzung schon einmal abgemahnt worden, könne regelmäßig davon ausgegangen werden, dass er auch in Zukunft entsprechende Vertragsstörungen begehen werde. Es sei nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handele, sondern es reiche schon aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stünden. Entscheidend sei, ob der Täter aufgrund der Abmahnung erkennen können, der Arbeitgeber werde weiteres Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern ggf. mit einer Kündigung reagieren. Der Täter sei wegen des Schlags auf das Gesäß einer Kollegin einschlägig abgemahnt worden, ihm müsse aber wegen seiner Äußerungen eine gleichartige Unzuverlässigkeit und Grenzüberschreitung vorgeworfen werden, weil es in beiden Fällen um ein die Integrität der Betroffenen missachtendes, erniedrigendes Verhalten ginge. Dem Täter sei wegen der Abmahnung klar gewesen, dass sein Arbeitgeber eine abermalige sexuelle Belästigung nicht hinnehmen und das Arbeitsverhältnis kündigen werde. Insoweit habe der Arbeitgeber auch nicht mehr als zumutbares milderes Mittel den Täter ein weiteres Mal habe abmahnen müssen, weil er sich die vorangegangene Abmahnung offensichtlich nicht zur Warnung habe gereichen lassen. Zukünftige Pflichtverletzungen des Täters hätten durch eine weitere Abmahnung nicht verhindert werden können.

Mitarbeiterinnen (und selbstverständlich auch Mitarbeiter), die sexuell belästigt werden, dürfen nach den §§ 13 ff. AGG Beschwerde bei den beim Arbeitgeber zuständigen Stellen Beschwerde einreichen, haben gemäß § 14 AGG ein Leistungsverweigerungsrecht, sofern ihr Arbeitgeber trotz ihrer Beschwerde entweder überhaupt nicht oder allein in offensichtlich ungeeigneter Weise Maßnahmen zur Unterbindung der sexuellen Belästigung ergreift. Dies bedeutet, dass sie sich – nach vorheriger Beschwerde und Androhung und wenn dies zu ihrem Schutz erforderlich ist – auf das ihnen zustehende Leistungsverweigerungsrecht berufen dürfen und schlicht nicht zur Arbeit erscheinen müssen und dennoch ihren Anspruch auf Zahlung des Gehalts behalten. Schließlich können sie von ihrem Arbeitgeber nach § 15 AGG eine Entschädigung einfordern. Wichtig sind hier allerdings zwei Fristen: Zum einen muss der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber seinen Anspruch nach § 15 Abs. 1 AGG binnen zwei Monaten schriftlich einfordern und zum anderen muss er seinen Arbeitgeber nach § 61 b Arbeitsgerichtsgesetz binnen einer Frist von weiteren drei Monaten, die mit der schriftlichen Einforderung der Entschädigung des Arbeitnehmers beim Arbeitgeber beginnt, beim Arbeitsgericht verklagen.

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