Fristlose Kündigung wegen Diebstahls trotz versteckter Videoüberwachung wirksam
von Dr. Ilja Selenkewitsch
Das Bundesarbeitsgericht musste entscheiden, ob die fristlos und hilfsweise ordentlich ausgesprochene Kündigung einer stellvertretenden Filialleiterin und Verkäuferin, die seit zehn Jahren einem bundesweit vertretenen Einzelhandelsunternehmen angehörte, sozial gerechtfertigt war, obwohl der Arbeitgeber ihr eine Falle gestellt und mehrere versteckte Videokameras installiert hatte (Urteil vom 21.6.2012, 2 AZR 153/11).
Der Arbeitgeber hatte bei Inventuren festgestellt, dass in einer seiner Filialen zahlreiche Artikel gestohlen worden waren und hegte den Verdacht, dass auch Diebstähle von der eigenen Belegschaft zu den Fehlbeständen geführt haben könnten. Um herauszufinden, durch wen die Diebstähle begangen werden, installierte der Arbeitgeber sodann für drei Wochen und mit vorheriger Zustimmung des Betriebsrats als Falle versteckte Videokameras in den Verkaufsräumen.
Die in Gegenwart eines Betriebsratsmitglieds ausgewerteten Videomitschnitte ergaben, dass die stellvertretende Filialleiterin und Verkäuferin, zwei Mal Zigarettenpackungen gestohlen hatte. Im Video sah man u.a., dass die Mitarbeiterin nach Ladenschluss im Kassenbereich aufgeräumt, eine Zigarettenbox geöffnet, einige Schachteln mit Zigaretten genommen, diese in Einkaufstütenfächer gelegt und sich zunächst entfernt hatte. Einige Minuten danach war sie zurückgekommen, hatte die Zigarettenschachteln unter ihrer Kleidung versteckt und war dann endgültig gegangen.
Unmittelbar nach dieser Auswertung stellte der Arbeitgeber seine Mitarbeiterin zur Rede und hielt ihr den Diebstahlvorwurf vor. Weil die Mitarbeiterin ihr Verhalten nicht aufklären konnte, sprach der Arbeitgeber ihr gegenüber eine fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Die Mitarbeiterin bestritt während der Gerichtsverfahren und trotz der Videomitschnitte, die Diebstähle begangen zu haben. Sie sagte, dass sie allein ihre Arbeitspflichten erfüllt habe und dazu gehöre auch, für Ordnung an den Zigarettenboxen zu sorgen und diese ein- und auszuräumen. Im Zusammenhang mit der Betriebsratsanhörung warf sie dem Arbeitgeber vor, dass dieser den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört habe, weil man ihm nicht den vollständigen Videomitschnitt vorgespielt habe, sondern nur einen Zusammenschnitt haben ansehen lassen. Deshalb sei die Betriebsratsanhörung fehlerhaft und damit die Kündigung insgesamt nach § 102 BetrVG unwirksam.
Die erste Instanz, das Arbeitsgericht Köln, wies die Kündigungsschutzklage der Mitarbeiterin vollständig ab und gab damit dem Arbeitgeber umfassend Recht. Die Berufungsinstanz, das Landesarbeitsgericht Köln (Urteil vom 18.11.2010 – 6 Sa 817/10) hob das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Köln teilweise auf und gab der Klägerin teilweise Recht. Es erklärte die fristlose Kündigung des Arbeitgebers für unwirksam, hielt die ordentliche Kündigung aber im Ergebnis doch für wirksam. Demnach müsste der Arbeitgeber, diesem Urteil entsprechend, der Mitarbeiterin also „nur“ noch Gehalt bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nachzahlen, das Anstellungsverhältnis wäre dann aber endgültig beendet. Das Landesarbeitsgericht Köln ließ allein zugunsten Klägerin die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht zu, damit diese durch das Bundesarbeitsgericht überprüfen lassen kann, ob die ordentliche Kündigung das Anstellungsverhältnis – wie vom Berufungsgericht ausgeurteilt – tatsächlich nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist endgültig beendet oder nicht.
Das Bundesarbeitsgericht hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln aufgehoben und zur weiteren Aufklärung an dieses zurückverwiesen, soweit es die Kündigungsschutzklage der Mitarbeiterin abgewiesen hat. Zwar sei die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden, dass die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt sei. Es stehe aber noch nicht fest, ob die Voraussetzungen für eine prozessuale Verwertung der Videoaufzeichnungen gegeben seien, ob also nicht zugunsten der Mitarbeiterin wegen der verdeckten Videoaufnahmen ein Beweisverwertungsverbot bestünde, mit anderen Worten: Dem Bundesarbeitsgericht fehlten zur endgültigen Bewertung des Sachverhaltes noch einige Umstände, welche das Landesarbeitsgericht Köln – nach vorherigem Vortrag von Seiten der Parteien – noch herauszufinden habe.
Führe eine versteckte Videoüberwachung zur Überführung eines Täters, könne das auf diese Weise gewonnene Beweismaterial im Bestreitensfall prozessual nicht ohne Weiteres verwertet werden. Das Interesse des Arbeitgebers, sein Eigentum auch seinen eigenen Mitarbeitern gegenüber zu sichern und sich vor Übergriffen auch gegen seine eigene Belegschaft zu schützen, habe gegenüber dem Schutz des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz abgeleiteten informationellen Selbstbestimmungsrechts des Täters nur dann höheres Gewicht, wenn die Art der Informationsbeschaffung trotz der mit ihr verbundenen Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren ist. Dies sei bei verdeckter Videoüberwachung nur dann der Fall, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestanden und es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen (mehr) gegeben habe sowie die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig gewesen sei. Unter diesen strengen Voraussetzungen wiederum stünden Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes der verdeckten Videoüberwachung auch an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen nicht entgegen. Zwar bestimme § 6b Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz, dass bei Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen der Umstand einer Beobachtungsmöglichkeit sowie die verantwortliche Stelle erkennbar gemacht werden müssten. Bei einem Verstoß gegen diese Pflicht aus dem Bundesdatenschutzgesetz werde dann aber nicht jedwede Videoüberwachungsmaßnahme an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen per se unzulässig.
Ob die durch das Bundesarbeitsgericht herausgearbeiteten Grundsätze indes einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten würden, ist damit noch überhaupt nicht entschieden.