Trotz Eigenkündigung dennoch Abfindung

von Dr. Ilja Selenkewitsch

Grundsätzlich gewährt das Kündigungsschutzgesetz – bis auf wenige und seltene Ausnahmen – einem Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Abfindung, sondern soll eigentlich seine Weiterbeschäftigung gewährleisten, wenn der Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage gewinnt. Allerdings sind in der Praxis doch Fallgestaltungen denkbar, in denen ein Arbeitnehmer eine Abfindung von seinem Arbeitgeber durch Urteil einklagen kann. Solch einen interessanten Sachverhalt musste das LAG Rheinland-Pfalz (Urteil v. 21.04.2009; Az. 3 Sa 701/08) entscheiden: Eine Arbeitnehmerin kündigte das Arbeitsverhältnis innerhalb der zweiwöchigen Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB fristlos, nachdem sie den Arbeitgeber zuvor wirksam mithilfe ihres Anwaltes einmalig erfolglos abgemahnt hatte. Das Arbeitsverhältnis unterlag dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes, d.h. die Arbeitnehmerin hatte die sechsmonatige Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG erfüllt und das Unternehmen beschäftigte die nach § 23 Abs. 1 KSchG vorgegebene Mindestanzahl an Arbeitnehmern. Grund für die Eigenkündigung waren wiederholte Verzögerungen bei den Gehaltszahlungen. Das LAG hielt nicht nur die fristlose Eigenkündigung für wirksam, sondern gewährte der klagenden Arbeitnehmerin auch den Ersatz des Vergütungsausfalls sowie eine angemessene Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes. Die Vorinstanz (ArbG Kaiserslautern) hatte einen solchen Abfindungsanspruch noch verneint.
Der beklagte Arbeitgeber zahlte der Arbeitnehmerin über neun Monate hinweg seit Januar 2007 unpünktlich Gehalt, teils über mehreren Raten hinweg, teils mit Verzögerung von bis zu 40 Tagen. Im September 2007 mahnte die Arbeitnehmerin ihren Arbeitgeber ab, indem sie den wiederholten Zahlungsverzug als „Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten“ rügte und für den Fall weiterer Zahlungsverzögerungen eine Eigenkündigung in Aussicht stellte. Nachdem der Arbeitgeber mit der Gehaltszahlung erneut in Verzug geriet, kündigte die Arbeitnehmerin ihr Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos gem. § 626 Abs. 1 BGB. Ferner verklagte sie ihren Arbeitgeber auf Zahlung von Ersatz für den Verdienstausfall bis zum Ende der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist nach § 628 Abs. 2 BGB sowie auf Zahlung von Schadensersatz in Form einer Abfindung für den Verlust ihres Arbeitsplatzes gem. § 628 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 9, 10 KSchG in entsprechender Anwendung. Dem ersten Teil der Klage gab die erste Instanz, das ArbG Kaiserslautern, statt; soweit es um die Abfindung ging, wies es jedoch die Klage ab. Die Arbeitnehmer legte hiergegen Berufung beim LAG ein.
Das LAG hingegen sprach der Arbeitnehmer eine Abfindung zu. Zunächst sei die außerordentliche fristlose Kündigung wirksam, da der Arbeitgeber „beharrlich“ seine Pflicht, pünktlich Gehalt zahlen zu müssen, verletzt habe. Insoweit habe es sich um wesentliche Geldbeträge (und nicht nur um „peanuts“) sowie um längere Verzögerungszeiträume gehandelt. Die pünktliche Auszahlung des Gehaltes sei deshalb für die Arbeitnehmerin besonders wichtig, weil sie mit seiner Arbeitsleistung zu Beginn eines jeden Monats gem. § 614 Satz 2 BGB in Vorleistung gingen und der Arbeitgeber ihr das zustehende Gehalt erst nachträglich, nämlich am Ende des Monats, zahlen müsse. Ebenso wenig könne sich der Arbeitgeber mit „Liquiditätsengpässen“ entschuldigen, da diese ihn keinesfalls – auch nicht vorübergehend – von seiner pünktlichen Zahlungsverpflichtung befreiten. Geld habe man eben zu haben. Die Abmahnung der Arbeitnehmerin habe eine unmissverständliche Aufforderung zur pflichtgemäßen Leistung für die Zukunft enthalten, eine zweite Abmahnung sei daher nicht erforderlich gewesen. Daraus folge zwingend ein Anspruch auf Ersatz des Vergütungsausfalls bis zur ordentlichen Kündigungsfrist, insoweit anerkanntermaßen gestützt auf § 628 Abs. 2 BGB.
Bemerkenswert und überaus interessant ist, dass das LAG der Arbeitnehmerin im Urteil eine Abfindung zuspricht. Eine Arbeitnehmerin, die aus wichtigem Grund ihr Arbeitsverhältnis selbst kündigen müsse, befinde sich in einer vergleichbaren Interessenlage wie derjenige, dem eine Weiterbeschäftigung wegen einer unwirksamen Kündigung seitens des Arbeitgebers unzumutbar sei. Deshalb seien die §§ 9, 10 und 13 KSchG analog anzuwenden und gewährten der Arbeitnehmerin einen Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB. Für die Höhe der Abfindung müssten die von der Rechtsprechung zu den §§ 9, 10 und 13 KSchG entwickelten Grundsätze herangezogen werden; die Abfindung belief sich im vorliegenden Fall auf 6.350,00 Euro brutto. Nach dem durch die Rechtsprechung anerkannten „Regelsatz“ (sog. Faustformel) in Höhe von 0,5-Bruttomonatsgehältern je Beschäftigungsjahr hätte sich die Abfindung eigentlich auf 9.325,00 Euro belaufen müssen. Grund für die Ausurteilung einer etwas niedrigeren Abfindung in Höhe von ca. 2/3 der o.g. 9.325,00 Euro war, dass die Arbeitnehmerin „alsbald“ eine Anschlussbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber mit demselben Gehalt fand, so dass sie sich bei der Abfindung einen Abzug gefallen lassen musste.

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